Stille Worte - Geschichten


Das Ganze

von Enchamón

Der Mann erwachte. Er wusch sich und zog sich an. Das Telefon klingelte. Dreimal, bevor der Mann den Hörer abnahm und der Stimme zuhörte. Eine Stimme, die etwas sagte:
"Sie haben sie heute früh auf dem Weg gefunden."
Der Hörer hängt herunter, Bruchstücke von Sprache rieselt in Wellen heraus, raubt das Ganze, läßt Leere füllen in schwindendes Sein; Traumluftblasen platzen zu einer Luftblase, die Welt erstarrt - zerfällt wieder gleich den Illusionen.
"Hallo? Hallo? Hallo?......"
Der Mann legte den Hörer auf die Gabel, die Stimme verstummte.
Es klingelte. Die Türklingel klingelte.
Die Wände, der Boden verschwimmen matt. Nur noch fahle Umriße deuten den Weg. Grelles Licht scheint durch die gläserne öffnung an der Tür, blendet die Sicht. Die Hand umfaßt kaltes Metall, öffnet die Tür. Jemand steht vor der Tür.
"Wollen Sie einen Staubsauger kaufen?", fragte die Frau an der Tür. Er kaufte einen.


Die andere Seite

von Schattenläufer

Juliette war eine junge und erfolgreiche Frau. Sie bekam immer das, was sie wollte. Sie liebte es, Männer nach ihrer Pfeife tanzen zu laßen; und jede ihrer neuen Bekanntschaften trug sie in ein kleines schwarzes Buch. Juliette war gerade dabei, sich fertig zu machen, als jemand an der Tür pochte. Ein Mann, höchstens einige Jahre älter als sie, stand vor der Tür.
"Guten Tag, ich bin Alexander Munro. Ich wohne auf der anderen Seite, und wollte fragen, ob ich mir eine Taße Zucker ausleihen kann," sagte der Mann.
Alexander sah sehr gut aus, und Juliette war von seiner Außtrahlung und von seinem Außehen wie vom Blitz getroffen.
"äh...ja natürlich..." stotterte sie.
Sie ging in die Küche, holte den Zucker für Alexander und gab ihn ihm.
"Danke!" sagte er freundlich. Als er gerade gehen wollte fragte Juliette, ob Alexander nicht zum Eßen bleiben wollte. Alex willigte ein. Der Abend verlief vollkommen zu ihrer Zufriedenheit. Juliette war von Alex fasziniert. Mehrere Monate lang klappte es zwischen den beiden. Nach einem halben Jahr jedoch fand Juliette ihr kleines Buch wieder. Spontan rief sie einen der Männer an. "Mal sehen, ob ich das noch kann," dachte sie sich.
Sie rief jemanden an und flirtete mit ihm, ohne zu wißen, daß Alex alles mit anhörte. Als sie ihn bemerkte, flüchtete er wutentbrannt aus dem Haus. Juliette plagte das schlechte Gewißen und nach einer Stunde begab sie sich zu dem Haus, in dem sie Alex schon so oft hatte verschwinden sehen. Ein älterer Herr öffnete die Tür. Aber er sagte, daß er keinen Alexander Munro kenne. Dann sah sie, wie Alex die Straße hinablief. Juliette folgte ihm bis sie auf dem Friedhof seine Spur verlor. Sie war vor einem Grabstein stehen geblieben, als sie ihn aus den Augen verlor. Die Inschrift lautete:

Alexander Munro
14.6.1901 - 28.12.1927

Erst jetzt wußte sie, was Alex damit meinte, als er sagte, er wäre von der anderen Seite.